Kunst

von Yasmina Reza

In seiner Pariser Wohnung betrachtet Serge, erfolgreicher Dermatologe und leidenschaftlicher Kunstliebhaber, voller Vergnügen sein gerade erworbenes Bild: ein modernes, monochromes Ölgemälde eines äusserst bekannten Künstlers. Das Werk ist 1.60 m x 1.20m gross und scheint ganz weiss zu sein. Bei genauerem Hinsehen kann der geschulte Beobachter jedoch weisse Farbnuancen entdecken, die sich diagonal über die gesamte Fläche ziehen.

Zur Feier des Tages lädt Serge seine langjährigen Freunde Marc, einen Ingenieur der Aeronautik und Yvan, den Vertreter einer Papiergrosshandlung, ein.Doch der Schuss geht nach hinten los: Anstatt sich mit ihm an diesem sensationellen Neuerwerb zu freuen, ist Marc entsetzt, wie Serge für «diese Scheisse» 200’000 Euro ausgeben kann – seiner Meinung nach ein peinliches Zeichen für Snobismus und für Serges Bedürfnis, in der Kunstszene mitreden zu können. Yvan sieht die Sache etwas gelassener. Immerhin kann sich Serge als Arzt solche Extravaganzen leisten, während er selber beruflich nie auf eine Goldader gestossen ist und sich nun erhofft, durch Heirat wenigstens die Papierhandlung seines zukünftigen Schwiegervaters übernehmen zu können.

Mehr und mehr geraten die Drei in einen heftigen Disput über Sinn und Unsinn dieses Kunstkaufs. Als es zu ersten Handgreiflichkeiten wegen des unverschämt teuren Ölgemäldes kommt und die Streiterei durch persönliche Beleidigungen derart aus dem Ruder läuft, dass fast keine Schlichtung mehr in Sicht ist, hat Serge eine geniale Idee…

Yasmina Evelyne Agnès Reza wurde am 1. Mai 1959 in Paris geboren und wuchs in einer wohlhabenden, weltoffenen Künstlerfamilie auf. Ihr Vater, ein Iraner jüdischen Glaubens, wurde in Moskau geboren und war in Paris ein erfolgreicher Geschäftsmann. Rezas Mutter, eine ungarische Jüdin, war von Beruf Violinistin. Beide Elternteile waren während des Holocaust in Lagern interniert. Yasmins Reza studierte Soziologie und Theaterwissenschaften. Bei Jacques Lecoq nahm sie Schauspielunterricht. Ursprünglich wollte sie Musik studieren, wurde jedoch am Konservatorium abgelehnt. Reza ist die weltweit meistgespielte lebende Bühnenautorin. Ihre Theaterstücke wurden in 40 Sprachen übersetzt. «Kunst» wurde 1994 in Paris uraufgeführt. In der Spielzeit 1997/98 waren alle Vorstellungen von «Kunst» mit dem leider inzwischen verstorbenen Matthias Gnädinger als Serge restlos ausverkauft.